Album der Woche: Die Orsons – „Tourlife4life“

Beim Album der Woche bespricht jeweils ein Mitglied der BACKSPIN Gang das nach unserem Ermessen spannendste neue Rap-Album. Komplett subjektiv, Track by Track und bewertet auf einer Skala von 1-10. Diese Woche bespricht unser Autor Simon das mittlerweile sechste Album der Orsons, “Tourlife4Life”.

Künstler: Die Orsons 
Titel: “Tourlife4Life”
Features: –
Produzenten: Tua, Kaas, Bartek, Maeckes, Jugglerz, Vanta
Releasedate: 17. Juli 2020
Label: Chimperator/Vertigo Berlin 

 

Simons Erwartungshaltung:

Ehrlich gesagt hat es mich sehr überrascht, als die Orsons nur etwa ein halbes Jahr nach ihrem Album “Orsons Island” bereits ein neues angekündigt haben. In der Vergangenheit lagen meist mehrere Jahre zwischen den Releases der Gruppe. Nichtsdestotrotz freue ich mich sehr auf das neue Album. Schon mit ihrem 2015 veröffentlichten Werk “What’s Goes” haben sie mich komplett in ihren Bann gezogen. Der Nachfolger “Orsons Island” hat dann im letzten Jahr meine sowieso schon sehr hohen Erwartungen noch übertroffen! Der Storyteller war für mich eines der besten Alben des vergangenen Jahres. Doch die Singles zu “Tourlife4Life” haben gezeigt, uns erwartet hier kein zweiter Teil von “Orsons Island”. Das Album entstand auf ihrer letzten Tour. Vielleicht also dennoch eine Art Fortsetzung ihrer Reise.

 

1. Intro

Pauken und Trompeten, die Orsons blasen zum Angriff! Mit diesem wuchtigen „Intro“ zeigen uns die Vier direkt, wo wir uns gerade befinden: Wir stehen hinter der Bühne. Vorne warten tausende Fans. Die Gruppe hat sich noch einmal versammelt, bevor es gleich raus auf die Bühne geht. Kaas sagt ein paar Worte und macht uns deutlich, dass es hier um die bisher größte Orsons-Show aller Zeiten geht. Was mich an dem „Intro“ allerdings am meisten fasziniert: Noch vor der Ansage für die eigentliche Show, dankt Kaas all den Leuten, die eine Liveshow überhaupt möglich machen. Die sonst nur im Hintergrund agieren, aber essenziell für alle Arten von Auftritten sind. Ein sehr starkes Statement, vor allem in dieser, für Arbeitende in der Veranstaltungsbranche, sehr schwierigen Zeit. Gänsehaut.

 

2. Energie

“Energie” nimmt uns dann auch direkt mit auf Tour. Schon auf dem letzten Album haben uns die Orsons mit dem Song “Grille” gezeigt, wie sie feiern können. Ein witziger Party-Song. Nach dem starken, aufbauenden „Intro“ allerdings ein leicht ernüchternder Start.

 

3. Leb schnell

In “Leb schnell” gibt es zwar weniger Party-Vibes, dafür einen Einblick in die hörbar bunte Welt der Orsons. Mit “Vier Wochen Junggesellenabschied” beschreibt Tua ihre Zeit auf Achse. Sie feiern Partys unten im Tourbus und möchten die Zeit am liebsten einfrieren. Maeckes kommt mit einer Line über Auswirkungen von “Schwung in die Kiste” und ihrem daraus resultierenden Ruf als “Partyband”. Das verspielte Instrumental, Anspielungen an Phil Collins “Another Day in Paradise” und der Fade Out nach Maeckes Part machen „Leb schnell“ zu einem abwechslungsreichen Hörerlebnis. 

 

4. Mitternachtssnack

“Mitternachtssnack” zeigt in jeder Hinsicht die kreative Herangehensweise der Orsons an ein neues Album. Wohl kaum jemand hätte sich getraut, als vierten Song einfach ein unter 70-sekündiges Instrumental aufs Album zu packen. Den dann auch noch als “Snack” zu betiteln ist eine wirklich humorvolle Aktion. Der Track ist zudem noch On Point produziert. Dem Titel nach zu urteilen, könnten wir uns in der Dramaturgie des Albums (sofern es denn eine gibt), hier draußen vor einem Imbissstand, kurz bevor es in den Club geht, befinden. Vom Sound her aber eher mitten drin in völliger Extase. Eine witzige Abwechslung, die live sicher nochmal andere Dimensionen erreicht.

 

5. Lovelocks

Hier sehen wir die rosarote Orsons-Brille. “Lovelocks” ist ein Liebeslied ans Verliebtsein. Es regnet Bonbons, Maeckes schwebt durch die Stadt. Was man an der Stelle schonmal anbringen kann, ist das wirklich sehr gute Mixing des Albums. Die Vocals von Wanja Janeva, aber auch die Gesangsparts von Tua und dem Rest der Band klingen wirklich gut und untermalen vor allem die Hook. 

 

6. Große Freiheit

“Große Freiheit” ist eine schöne Hymne an das Unterwegssein, das Live-Spielen und das Reisen. Eben ein Lovesong der anderen Art. Ob es hier wirklich um den Hamburger Club geht, in dem sie auf ihrer letzten Tour gespielt haben, wird aber nicht klar. Es könnte eine Metapher für so Vieles sein. Vielleicht muss das aber auch jede*r für sich selbst ausmachen. 

 

7. Staub

In “Staub” geht es um toxische Beziehungen. Ein schöner Song und mit Lines wie “Wir treffen uns in der Mitte, wir passen nur da zusammen” auch sehr schön beschrieben. In den Kontext einer Tour könnte ich den Song allerdings nicht einordnen. Vielleicht fehlt mir da aber auch einfach die Erfahrung.

 

8. Schuhwurf3000

Was passiert, wenn eine Orsons-Party mal aus dem Ruder läuft, zeigen sie uns hier. Der Song macht live sicher viel Spaß. Für den morgendlichen Weg zur Arbeit ist er eher nichts.

 

9. Freier Fall

Dass man natürlich nicht immer nur auf Tour sein kann und wie der Bruch mit dem Alltag aussieht, erfahren wir hier. Die Tour ist gespielt. Der Junggesellenabschied vorbei. Als “leicht verschoben” bezeichnet Bartek das Heimkommen nach der Tour. Nachvollziehbar, dass nach Wochen, in denen man immer von Menschen umgeben war und jeden Abend unter Adrenalin stand, erst einmal ein harter Cut kommt. Sehr schön, dass bei all der Feierei auch negative Auswirkungen dieses Lifestyles thematisiert werden. Mit Kaas‚ Vocal Performance am Ende ein sehr starker Track!

 

10. Oioioiropa

“Hört den Profis zu! Nicht mir, ich kann nur spekulieren / Frieden allen Menschen würd ich aber attestieren”. “Oioioiropa” ist ein politischer Song, wie er den meisten anderen ein Vorbild sein sollte. Vollkommen ehrlich und unverblümt. Kein großes drumherum Reden und keine Spekulationen. Ganz klare Reflektionen der eigenen Privilegien. Die äußere Wahrnehmung und die Werte, die die EU vertritt, gegen die tatsächliche Realität. Dazu gibt’s Anspielungen an Eins, Zwo., Jürgen Klopp und der treffende Auszug des Philosophen Arthur Schopenauer am Ende des Songs mit dessen Sicht auf den Nationalsozialismus. Perfekt.

 

11. Die Show muss weitergehen

Auch wenn der Song musikalisch erstmal zum Tanzen anregt, hat er doch einen sehr bitteren Beigeschmack. Es geht um die negativen Auswirkungen des Künstler-Daseins. Um das Spielen einer Kunstfigur von Menschen mit eigentlich ganz normalen Problemen. Wir stehen, wie schon im „Intro“, hinter der Bühne. Nur mit dem Unterschied, dass wir nicht wie zuvor körperlich wie psychisch gesund sind, sondern wirklich am Boden. Und nur ein paar Meter vor uns warten tausende Fans auf genau die Show, für die sie Eintritt bezahlt haben. Ein Problem, mit dem schon so viele großartige Künstler*innen zu hadern hatten. 

 

12. Egal, weischt

Hier drücken wieder die Bässe. Nach außen hin ist alles gut. Als würde hier einfach gefeiert werden. Aber es wirkt eben nur so. Die Orsons hinterfragen den Partywahn. Warum will man sich eigentlich hemmungslos abschießen? Wie muss der eigene Alltag aussehen, dass einem am Ende eh “alles egal” ist? Den Song hätte ich mir am Anfang gewünscht. Um den starken Auftakt des Intros fortzuführen.

 

13. Schüttel dein Skelett

Der vorletzte Track des Albums sollte dem einen oder anderen Orsons Fans bekannt vorkommen. Auf der letzten Tour war die Hommage an Peter Fox„Schüttel deinen Speck“ das der Ausmarschsong. Interessanter Weise auch der erste Song, auf dem alle vier Protagonisten mit einem (kleinen) Part vertreten sind. Ein durchaus witziger Track, aber kein Höhepunkt.

 

14. Straßenheiligkeit

“Straßenheiligkeit” hat etwas Sphärisches. Der Song macht die Straße schon fast zu etwas Religiösen. Es ist auch gut vorstellbar, dass sie nach schier endlosen Stunden unterwegs, zu etwas Mystischem wird. Abgeschottet von der Außenwelt, fährt man vorbei an gesichtslosen Gestalten. Schläft an einem Ort ein und wacht an einem völlig anderen wieder auf. Zeitgleich steht die Straße aber auch für das Entfliehen dem eigenen Alltag. Ein schönes Ende der Reise, der Tour und des Albums. Und nur, um es am Ende nochmal anzusprechen: Das Mixing! Von der Pre-Hook, über die Parts bis hin zum Outro klingt alles einfach nur großartig!

 

Fazit:

Mit dem Ansatz, ein Album ohne Konzept zu machen, ist den Orsons hier erneut ein Konzeptalbum gelungen. Das Thema des Tour-Lifestyles umfasst das ganze Album. Dabei werden die verschiedensten Thematiken des “unterwegs Seins” aufgegriffen. Von den dummen Insidern, die man sich über die gemeinsame Zeit zulegt, bis hin zu schlechten Momenten, in denen man als Künstler*in trotzdem performen muss. In gewisser Weise ist “Tourlife4Life” eine Fortsetzung der Reise von “Orsons Island”. Natürlich darf man keinen Storyteller wie den Vorgänger erwarten. War der Rahmen hier doch ein ganz anderer. Manche Thematiken werden weitergeführt, andere sind bereits erzählt und an manchen Stellen wiederholen sie sich ein wenig. In jedem Fall hat die Gruppe aber wieder all ihre individuellen Stärken ausgespielt und an manchen Stellen sogar noch einen draufgesetzt. Die Produktionen, aber vor allem das Mixing von Tua und den Jugglerz hat ein neues Level erreicht. Die Vocals von Wanja Janeva, aber auch die der Band, untermalen die Beats perfekt. Zusammen mit den starken Vocal Performances von Kaas, aber auch dem Rest der Band, nehmen sie die Hörer*innen mit auf Tour. Ich persönlich konnte allen Songs etwas abgewinnen. Die eher witzigen Tracks hätte ich nicht zwingend gebraucht. 8/10