Am 18. Juni 2018 geht ein Schock durch verschiedene Szenen, die sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer weiter auseinanderentwickelt haben: XXXTentacion wird im Alter von 20 Jahren in Florida erschossen. Sein Ableben ist nach dem Drogentod von Lil Peep sechs Monate zuvor der zweite Verlust für einen völlig neuartigen Sound, der so schnell wieder verschwand, wie er in den Soundcloud-Playlists der Millenial-Generation auftauchte. Gab Machine Gun Kellys Pop-Punk-Experiment „Tickets To My Downfall“ dem neuen Crossover Emo-Rap nun den überfälligen Todesstoß?
Die Entwicklung von Emo-Rap
Ein Blick zurück: In den 2000ern besaß der gesamte Kosmos der Gitarrenmusik um Indie, Emo, Punk und Metal noch eine ganz andere Relevanz im Mainstream: Bewährte Bands wie Green Day untermauerten ihr Standing, mit den Arctic Monkeys oder My Chemical Romance schossen Hype-Bands wie Pilze aus dem Boden und auch die alternative Szene florierte mit Screamo- und Post-Hardcore-Acts wie Brand New, Thrice oder La Dispute. Musiker*innen wie Lil Peep oder XXX wuchsen mit diesen Bands auf ihren iPods auf, sie hatten einen ebenso großen Einfluss auf ihr künstlerisches Schaffen wie Eminem oder Gucci Mane – eine Mischung, die wenig mit dem Nu Metal um Limp Bizkit und Linkin Park um die Jahrtausendwende gemein hatte.
Nur konsequent also, dass in ihrer eigenen Interpretation von Hip-Hop der Geist eben jener Bands atmet: Fünf Jahre nach Caspers „XOXO“ arbeitete Lil Peep auf Soundcloud mit Gitarrensamples besagter Acts und machte Emo-Rap so für wenige Jahre zu einem der größten popmusikalischen Bewegungen der Gegenwart.
Nachdem XXXTentacion nicht nur mit schockierender Gewalt von sich reden machte, sondern auch mit waghalsigen Screamo-Anleihen samt Feature mit Blink-182-Drummer Travis Barker, war die edgy Welt des Emopunks endgültig im Mainstream angekommen – etwas, das keine Band je geschafft hatte. Durch das Aussterben der prägendsten Künstler*innen dieser jungen Bewegung endete sie leider auch sehr früh – auch der immer mehr im Rap verwurzelte Juice WRLD kam Ende 2019 um.
Das musikalische Vermächtnis, das sie hinterlassen, ist nicht nur die sehr präsente Schilderung der eigenen mentalen (Nicht-)Gesundheit, sondern auch die große Prominenz von Gitarrensamples im Trap. Während Künstler*innen wie nothing,nowhere. die Linie zwischen Hip-Hop und Emo weiterhin verwischen, sind Gitarren auch längst im Deutschrap angekommen: Summer Cems „Diamonds“ etwa verzeichnet auf Spotify über 67 Millionen Streams und auch Flers „Ketamin“ gehört zahlenmäßig zu seinen Top-Songs des Jahres, beide werden durch E-Gitarren-Arpeggios getragen. Ohne Emo-Rap wäre aber auch ein phänomenaler Auftritt wie Denzel Currys Rage Against The Machine-Cover von „Bulls On Parade“ wohl nie möglich gewesen.
Die Rolle von Machine Gun Kelly
Das konsequente Ende dieser Entwicklung sehen wir momentan beim ehemaligen „Rap Devil“ Machine Gun Kelly, der sich von einer Hip-Hop-Karriere samt Disstrack von Eminem zum Pop-Punk-Posterboy entwickelte. Einen Hang zum Rock gab es bei ihm immer, die Zusammenarbeit mit Travis Barker auf „Tickets To My Downfall“ hat aber endgültig keinen Hip-Hop-Bezug mehr. Dafür gab es immerhin den ersten MTV Music Video Award in der Kategorie „Best Alternative Video“ seit 1998. Zur Relation: Die letzten Gewinner hießen hier Green Day, Sublime und The Smashing Pumpkins.
Dabei tritt bei einem Künstler wie MGK, der durch seine Prominenz den ausgestorben geglaubten Pop-Punk zurück in den Rap-Mainstream bewegt, der gleiche Effekt ein wie bei Lil Waynes Rock-Album „Rebirth“ oder 2010: Was von der Masse teils als mutiger Alternative wahrgenommen wird, ist in der „eigentlichen“ Szene dieser Musik wenig bis gar nicht präsent oder anerkannt. So erscheinen jedes Jahr Dutzende Alben von gestrigen Pop-Punk-Bands, die immer noch besser klingen als die Blink-182-Tiefkühlkost auf „Tickets To My Downfall“. Die Frage zum Ende des Jahres und Anfang des Jahrzehnts stellt sich nun, ob das Album der Beginn eines großen Revivals ist, die uns im Zuge der 2000er-Nostalgiewelle noch länger begleiten wird – oder, ob MGK nur die letzte Konsequenz einer erkalteten Ehe zwischen Rock und Hip-Hop bleibt. Eines Sounds, der spätestens jetzt auserzählt ist. It’s better to burn out than to fade away.