In unserer heutigen Zeit ist es eigentlich völlig normal sich für sämtliche Freizeitaktivitäten das passende und zweckoptimierte Schuhwerk über die Zehen zu streifen. Futuristische Hightops auf dem Basketball-Court, Sprungfeder-Sohlen zum Joggen und möglichst dicke Lederbotten auf dem Skateboard. Im Alltag dagegen tragen wir heutzutage dann nur allzu gern die Sportschuhe der Generation vor uns. Der Puma Disk Blaze kam beispielsweise in den 90ern als innovativer Laufschuh mit einem neuartigen Schnürsystem auf den Markt und wurde damals auch lediglich in seiner Funktion als Laufschuh genutzt. Vor einigen Jahren feierte der Disk dann sein Comeback – allerdings auf der Straße und nicht auf der Tartanbahn. Genauso geht es mittlerweile ähnlichen Klassikern aus Basketball und Running, die mittlerweile weder zum Körbewerfen, noch zum Joggen genutzt werden. Der Begriff Sneaker, also ein Sportschuh, der nicht zum Sport, sondern im Alltag getragen wird, ist ein absoluter Grundbegriff der urbanen Kultur. Ein Universal-Turnschuh, der gleichzeitig in seiner ursprünglichen Funktion als Sport- Schuh, aber auch als Mode-Statement funktioniert, ist dennoch extrem selten.
An diese Stelle tritt nun eine Turnschuh-Legende um dieses knifflige Erbe anzutreten: Der Puma Suede ist zurück! Es gibt kaum einen Schuh, der auf solch eine lange und gleichzeitig wandelbare Geschichte zurückblicken kann. Historisch vereint der Suede in der Freiheitsbewegung, im Basketball-Spotlight, als B-Boy-Legende, als Skate-Klassiker und schließlich in der High-Fashion- Industrie ganze Bevölkerungsschichten. Aber dazu später mehr. In welcher Funktion er in den 2020er Jahren auftreten wird, ist dagegen noch völlig offen.
Aus Glattleder wird Suede
Die Geschichte des Puma Suede beginnt in den 1960er Jahren. Damals feierte der große, aus glattem Leder gefertigte Bruder des Suede – der Puma Basket – erste Erfolge auf dem Court. 1968 überlegten sich die Macher hinter der Marke Puma dann im Wettrennen um die Vorherrschaft auf dem Turnschuh-Markt einen Marketing-Coup: Sie verpasstem dem eher steifen Basket eine Wildleder-Kur und ersetzten das harte Glattleder mit dem deutlich weicheren Wildleder-Material. Daher kommt logischerweise auch der Name des Schuhs. Suede ist das englische Wort für Wildleder. In den 60er Jahren stellte diese, heutzutage völlig normale Materialauswahl tatsächlich eine Art Revolution dar. Die meisten Sportschuhe hatten damals Upper aus Glattleder oder Canvas-Material. Mit dem Griff zum Wildleder bewies Puma ein goldenes Händchen und öffnete einen völlig neuen Markt für Turnschuhe.
Erstes internationales Aufsehen erregte der Suede dann allerdings relativ überraschend bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko innerhalb der Laufwettbewerbe. Mit dem eigentlichen Rennen hatte der Suede dabei wenig am Hut. Bei seinem Weltrekordlauf über 200 Meter trug der Amerikaner Tommie Smith zwar auch Puma Schuhe, allerdings ein moderneres Modell mit Spikes. Als Smith dann wenig später das Siegertreppchen erklimmt um seine Goldmedaille in Empfang zu nehmen, entstehen Bilder, die bis heute unvergessen sind. Smith widmet seinen Sieg der amerikanischen Freiheitsbewegung im Kampf gegen Rassismus. Er betritt das Podest mit schwarzen Socken und reckt zur Nationalhymne die Rechte Faust, ebenfalls mit einem schwarzen Handschuh bekleidet, in den Himmel. Als die letzten Klänge der Hymne aus dem Stadion wehen, löst Smith seinen stillen Protest in eine Jubelgeste auf und reckt dabei auch seinen linken Arm in den Himmel. In der Hand hat er dabei nicht anderes als einen schwarzen Puma Suede. Da das Logo von Puma sowieso schon bestens zur Black Panther Bewegung passt, nutzen die Aktivisten fortan den schwarze Suede als Erkennungszeichen.
Von den Black Panthern zu den New York Knicks
Als dieser erste Aufschwung des Puma Suede langsam verfliegt, schnappt sich der wohl größte Basketball-Superstart der 70er Jahre den Schuh und verhilft diesem zu einem neuen Peak. Walt Frazier erspielte sich bei den New York Knicks nicht nur zwei Championship-Ringe, sondern auch die Herzen des Publikums. Er wird schnell zur absoluten Ikone der Stadt New York. Vor allem sein Kleidungsstil neben dem Basketballplatz bleibt bis heute legendär. Zu seinem Signatur-Outfit gehörten riesige Pelzmäntel, maßgeschneiderte Anzüge, ausgefallene Hüte und eben jener Puma Suede. Weil der Suede dem Riesenfuss Frazier anfangs etwas zu eng war, schneiderte Puma dem Basketballstar kurzerhand seine eigene Version des Schuhs um den Fuß. Angelehnt an den Spitznamen Fraziers bekam dieser den Namen Clyde aufgedrückt und ging damit Jahre vor Michael Jordan als erster Signatur-Schuh eines Spielers in die Basketball-Geschichte ein. Mit Fraziers Endorsement hielt der Suede dann endgültig Einzug in die Straßen von New York und die afroamerikanische Kultur landesweit.
Mit über zwei Millionen verkauften Schuhen feierte der Sneaker gemeinsam mit seinem neuen Bruder Clyde 1973 seinen kommerziellen Höhepunkt. Was in den folgenden Jahren jedoch mit diesem Schuh passiert, hat kulturell betrachtet noch viel größere Dimensionen. Bis in die 70er Jahre hinein war von der heute allgegenwärtigen Sneaker-Kultur nämlich noch keine Spur. Auf die Idee Sportschuhe auch auf der Straße zu tragen kam damals noch keiner. Angestoßen durch Frazier kauften sich dann jedoch viele Jugendliche den Suede auch als Alltagsschuh. Ein weiterer Faktor für die große Beliebtheit des Sneaker war schließlich auch der überaus günstige Preis. Suedes waren also auf der einen Seite erschwinglich für die Kids in der Bronx, wo die sozialen Umstände in den 70ern immer gravierender wurden, hatten aber gleichzeitig auch ein Ausdruck von Coolness durch die Stil-Ikone Frazier.
Hip-Hop beschert dem Suede Fans auf der ganzen Welt
Parallel zu Fraziers Erfolgen auf dem Parkett beginnt bekanntermaßen auch ein gewisser DJ Kool Herc einige Straßen weiter Breakbeats aufzulegen. Die Hip-Hop-Kultur wird geboren und übernimmt dabei logischerweise größtenteils auch den Streetstyle aus New York City. In den Anfangstagen der Kultur waren im Übrigen keinesfalls die Rapper Vorreiter in Sachen Kleidung und Schuhwerk. Diese Rolle hatten viel eher die B-Boys und -Girls inne. Das wandelnde Rap-Lexikon Falk Schacht erklärte das mal in etwa so: „Wenn ein Sprüher früher einen klassischen Hip-Hop-Charakter malen wollte, dann malte er einen B-Boy.“ Damit lässt sich wiederum ein Großteil des ursprünglichen Kleidungsstils von Hip-Hop-Jüngern auf die kleidungstechnischen Bedürfnisse von Breakdancern zurückführen. Trainingsanzüge und weite Hosen brauchten die Tänzer und Tänzerinnen für mehr Bewegungsfreiheit. Am Fuß musste ein Schuh her, der gleichzeitig flexibel, aber eben auch standfest seien sollte. Die meisten B-Boys griffen also zum Puma Suede. Die Gummisohle des Schuhs sorgt für genügend Halt und Haftung am Boden, während die Wildleder-Oberfläche gleichzeitig Biegsamkeit und Freiheit bietet.
Die zwei großen Schritte, die sowohl die Hip-Hop-Kultur und Breakdance, als auch den Puma Suede zu weltweiter Anerkennung verhelfen sollte hießen dann „Beat Street“ und „Wild Style“. Fragt man die Akteure der ersten großen Hip-Hop-Welle in Europa nach ihren ersten Berührungspunkten mit der Kultur, werden die meisten eine ähnliche Geschichte erzählen: Ein Kinobesuch im richtigen Alter auf der Suche nach Identität und Zugehörigkeit und schon war es um einen geschehen. Die Faszination für die beeindruckenden Moves, die völlig neue Musik und auch die krassen Klamotten blieb. Beide Filme lösten eine weltweite Breakdance-Welle aus, die viele Menschen, welche später zu Produzenten, Rappern, Sprühern oder einfach Fans werden sollten, in die Hip-Hop-Kultur spülte. Der Kleidungsstil, der in beiden Filmen zu sehen war, wurde zum Inbegriff des weltweiten Hip-Hop-Styles und der Puma Suede war mittendrin.
So landet der Puma Suede in der BACKSPIN
Durchblättert man alte BACKSPIN-Hefte finden sich unzählige Erzählungen eben dieser Geschichte. Beispielsweise von Next One, einem der bekanntesten Tänzer der ersten Welle, der sich in seiner Titelgeschichte der Ausgabe 23 erinnert: „Meine erste Platte war “Wild Style” und das war damals das Härteste, was man kriegen konnte. Im Film konntest du sehen, wie die Leute zu den Beats abgegangen sind. Ich sah diese Typen mit Schuhen, die ich noch nie gesehen hatte, so wie die Puma Suedes. Sie hatten diese bestimmte Art sich zu bewegen, zu tanzen… Je mehr ich mich in den Film hineinversetzte, desto mehr lernte ich diese Musik und diese Ungeschliffenheit zu schätzen.“
Einige Ausgaben weitergeblättert, stolpert man über einen Artikel zu den Hip-Hop-Anfängen in der DDR. Tatsächlich ließ das kommunistische System „Beat Street“ im Kino spielen und legte damit ungewollt auch im Osten den Grundstein für eine Kultur, die auch damals schon eng mit Konsumgütern und globalen Marken verknüpft war. „Das passende Outfit schneidern Mama und Oma, als Vorbild dienen ihnen die Puma-Trainingsanzüge aus „Beat Street“. Noch heute halten die ehemals Aktiven ihre mit Textilfarbe gestalteten Nickis und Stoffschuhe wie Trophäen in die Kamera,“ berichtet BACKSPIN-Autor Nico Raschick in Ausgabe 81.
Per Mailorder aus den USA eingeflogen
Auf der anderen Seite der Mauer schien es in den 80er Jahren allerdings auch nicht viel einfacher gewesen zu sein, an die begehrten Schuhe aus Übersee zu kommen. Darf man dem mittlerweile nach New York ausgewanderten Produzenten Sticky Dojah glauben, besorgten sich die Szeneakteure Schuhe und Klamotten einfach selbst aus den Staaten. Dojah beschreibt 2003 in der BACKSPIN, wie die deutsche Breakdance Legende Storm in den 80er Jahren Puma Suedes importiert und diese per Mailorder in Deutschland vertickt. Aus heutiger Sicht wirkt das absolut verrückt für einen Schuh so viel Aufwand zu betreiben. In den 80ern ging es einfach nicht anders. Sneakerläden, Snipes und Flagschip-Stores der großen Marken sind noch Lichtjahre entfernt. Heads der ersten Stunde waren gezwungen mit übergroßen Jacken aus dem Baumarkt und Hüten aus dem Anglerbedarf vorlieb zu nehmen. Da auch Basketball als Sportart noch nicht wirklich in Deutschland angekommen war, standen in Sportfachgeschäften auch meistens nur Fussball-Botten im Regal.
Aber natürlich ändern sich die Dinge im Laufe der Zeit. Die großen Marken wurden auf den Hip- Hop-Boom aufmerksam, springen auf den Zug auf und entwickeln spezielle Breakdance-Schuhe, die immer besser auf die Bedürfnisse der Tänzer zugeschnitten sind. So verschwindet der Puma Suede in den 90er Jahren mehr und mehr von den Füßen der B-Boys und B-Girls. Auch gewinnt Rap und die Musik immer weiter Oberhand innerhalb der Hip-Hop Kultur und drängt Breakdance zurück in eine vergleichsweise kleine, aber extrem loyale Subszene. Dieser Prozess lässt sich auch in der Geschichte der BACKSPIN sehr gut abzeichnen. Strahlte der Suede 1996 noch vom Cover des Magazins, verschwand er in den 00er Jahren fast komplett aus dem Heft.
Zeiten ändern sich, der Puma Suede bleibt
Breakdance verschwindet als Element zwar nie aus dem BACKSPIN-Kosmos, der Suede allerdings schon. „Damals trugen die B-Boys Pumas oder Trainingsanzüge, heute rocken sie in Skinny Jeans die Kreise und Battles,“ fasst es der ehemalige BACKSPIN-Chefredakteur Dennis Kraus 2012 in einem Feature über die Entwicklung von Breakdance zusammen. Während Niko also jedes Jahr wieder zu seinem – wie er es liebevoll nennt – kleinen Oldschool-Mekka, dem Battle of the Year, aufbricht, wird der Suede erst zum beliebten Skate-Schuh und später sogar durch Rihannas Fenty-Kollektion und über die Laufstege von Paris und Mailand gelaufen.
Tatsächlich endet die Liebe von Hip-Hop für Pumas legendären Wildlederschuh allerdings nie so wirklich. Blättert man auf der Suche nach dem Kult-Sneaker den BACKSPIN-Katalog immer weiter nach vorn und bricht die Suche nach etlichen Ausgaben ohne Treffer fast schon ab, tauchen in Ausgabe 105 auf einmal wieder Breakdance-Bilder mit dem Suede auf. Fast pünktlich zum 50-jährigen Jubiläum scheint der Schuh ein unerwartetes Comeback zu feiern. In Berichten über verschiedene Ausgaben der dänischen Battle-Veranstaltung „Floor Wars“ fliegt der Suede prominent über das Paket. Vergessen wird die Hip-Hop-Kultur den legendären Sneaker wohl auch in den nächsten 50 Jahren nicht.